„Das Chaos deiner Träume ist völlig in Ordnung“
Ein Zirkustheaterprojekt mit Kindern von 10 bis 15 Jahren im it’z Berlin am Esperantoplatz. Ausgangspunkt ist das Theaterstück „Zirkus Sardam“ von Daniil Charms, ein Klassiker der russischen Literatur. Der Text wurde vor fast hundert Jahren für das Puppentheater geschrieben. Das sich neu gründende ITZ YOUNG! – Ensemble möchte das Stück neu greifen und in gemeinsamer Arbeit in Szene setzen.
Die Vorfreude steigt. Alles ist vorbereitet. Die Akrobaten und die Dompteuse, der Kraftmensch und der Kunstreiter, der Jongleur und die Seiltänzerin und natürlich der Clown; sie alle warten auf ihren sensationellen Auftritt. Die Musik spielt, der Direktor grüßt sein Publikum. Doch die Katastrophe ist bald absehbar. Die Katastrophe heißt „Vertunov“. Er tritt ins Licht und ist fortan auch nicht mehr wegzukriegen. Alles, was so schön vorbereitet und einstudiert war, geht schief. Der unbeholfene Vertunov stört den Puppenzirkus Sardam durch seine ständigen Zwischenauftritte, mit denen er demonstrieren will, dass er gut genug ist, auch ein Artist zu sein. Vertunov wünscht sich nichts sehnlicher, als ein Mitglied des Zirkus Sardam zu werden. Er wird jedoch von der Gruppe ausgebuht oder durch Zauberei zum Verschwinden gebracht.
Das Ensemble, welches diesen Text erforschen, proben und aufführen möchte, besteht aus dreizehn Kindern und Jugendlichen, die an unterschiedlichsten Theaterkursen im Interkulturellen Theaterzentrum Berlin bereits teilgenommen haben und über die Jahre „gewachsen“ sind. Die Teilnehmer:innen des Ensembles haben ihre darstellerischen und sozialen Kompetenzen in verschiedensten Stückentwicklungen und Stückinszenierungen sukzessive ausgebaut. Einige von ihnen sind mittlerweile schon über 5 Jahre dabei. Nun kam der Wunsch von den Jugendlichen auf, eine gemischte Kinder-und Jugendtheatergruppe zu starten. Ein Stück mit vielen Figuren, damit möglichst viele mitmachen können. Die Ältesten werden 14/15 Jahre alt sein, die Jüngsten 8/9 Jahre alt.
1935 war in Leningrad, wie St. Petersburg damals hieß, ein Marionettentheater gegründet worden. Für diese Bühne, die etwas über ein Jahr bestand, verfasste Charms sein Zirkusstück. Ein Stück, das Tempo und Artistik erfordert, für tote Gliederpuppen zu schreiben, scheint erst einmal absurd. Doch rebellischer konnte man das Wesen der stalinistischen Herrschaft gar nicht erfassen. Der russische Dadaist Charms enthüllt in seinen Stücken mit Hilfe seines Humors und sprachlicher Mittel das falsche, unechte, erstarrte Leben. Die zwischenmenschliche Kommunikation scheint es nicht mehr zu geben. Subtil fragt er in seinen Stücken danach, wo das echte Leben passiert. Dieser Subtext wird nicht im Fokus unsere Arbeit stehen, aber es werden im Probenprozess ganz ähnliche Fragen diskutiert werden können. Zu Rollenbildern, Selbstbestimmung und Zivilcourage.
Welche Übertragungen des Theatertextes finden die Kinder und Jugendlichen in die heutige Zeit? Was heißt für sie heute Gewalt und Lüge? Was Gefangensein? Wovor haben sie Angst? Oder sind sie angstfrei wie Vertunov? Zwar ist er ein Außenseiter, der aus Angst vor dem Direktor nicht von der Gemeinschaft akzeptiert wird, er wird eingesperrt, weggezaubert und gemobbt. Doch immer wieder kommt er hervor und zurück in die Zirkusarena. Vertunov lässt sich nicht unterkriegen. Sein Traum ist größer als die bestehenden Zirkusregeln. Und allmählich aber sicher bringt Vertunov den kompletten Zirkus durcheinander, mitsamt dem überforderten Direktor.
Das Stück zeigt in seiner komischen Groteske, dass das einzig Sichere das Chaos ist. Inmitten der Katastrophen gilt es, auch mal das plötzlich Unerwartete, das Schwingende und Schwebende zuzulassen – seinen Träumen zu vertrauen – im Zirkus wie im Leben.
Katharina Schlender und Rolf Kemnitzer werden gemeinsam mit dem Kinder-und Jugendtheaterensemble diesen Text erproben. Sie kennen die Spieler:innen teilweise aus vorherigen Arbeiten und wissen um die jeweiligen Stärken und Schwächen. Phantasie & Sprachwitz sowie Rolle & Identität werden Eckpfeiler der Bühnenarbeit sein.
